Jahresbericht 2019

Jahresbericht 2019

Informationsarbeit als zentrales Thema

Opfer von Straftaten wissen zu wenig über ihre Rechte. Hier kämpft der WEISSE RING für eine Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen und setzt auf Kommunikation und Kooperation.

In der täglichen Arbeit der Opferhilfe zeigt es sich genauso wie in aktuellen Studien: Opfer von Straftaten wissen nach wie vor viel zu wenig über ihre Rechte und über die bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten Bescheid. Deshalb legte der WEISSE RING im Jahr 2019 einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Information Betroffener. Zusätzlich drängt der WEISSE RING nach wie vor auf eine vollständige Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU und fordert vor allem eine geeignete gesetzliche Grundlage, damit Betroffene sofort von der Polizei an Unterstützungs-Einrichtungen vermittelt werden können. „Es ist schwer auszuhalten, wenn man weiß, wie einfach es sein könnte“, verleiht Präsident Udo Jesionek dieser Forderung Nachdruck.

Es ist schwer auszuhalten, wenn man weiß, wie einfach es sein könnte.

Udo Jesionek, Präsident WEISSER RING

Diskussion und Publikation am Puls der Zeit

Die Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU in nationales Recht war Hintergrund sowohl für die neunte Publikation aus der Schriftenreihe Viktimologie und Opferrechte (VOR 9), die der WEISSE RING gemeinsam mit dem StudienVerlag publizierte, als auch für eine gemeinsame Veranstaltung mit der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA).

Bei der Veranstaltung setzten sich Expert*innen mit der Frage auseinander, ob EU-Staaten Opfer von Gewalttaten im Stich lassen. Grundlage der Diskussion war das Forschungsprojekt „Justice for victims of violent crime”. In der Podiumsdiskussion entstand ein sehr differenziertes Bild der aktuellen Situation in Österreich und Forderungen des WEISSEN RINGS wurden bestätigt.

In der Publikation „Opfer von Partnergewalt in Kontakt mit Polizei und Justiz“ (VOR 9) gehen Helga Amesberger und Birgitt Haller der Frage nach, welche Unterstützung Frauen benötigen, die Partnergewalt zur Anzeige bringen und welche Erfahrungen sie dabei mit Polizei und Justiz machen. Auch hier lassen sich Ansätze zur Weiterentwicklung ableiten.

Bestärkt durch den internationalen Vergleich

Mit dem Abschlussbericht zu VOCIARE (Victims of Crime Implementation Analysis Report) liegt ein Vergleich der Implementierung und Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU in 19 Mitgliedstaaten der EU vor. Geschäftsführerin Dina Nachbaur und Tobias Körtner, Leiter Opferhilfe, sehen in den Ergebnissen einen „Call to Action“. „Erst der gezielte und strukturierte Austausch mit Expert*innen und der europaweite Vergleich im Rahmen dieses Projekts gibt uns die Sicherheit, klar zu definieren, was noch zu tun ist“, sind sich die beiden einig.

Erst der gezielte und strukturierte Austausch mit Expert*innen und der europaweite Vergleich im Rahmen dieses Projekts gibt uns die Sicherheit, klar zu definieren, was noch zu tun ist.

Dina Nachbaur, Geschäftsführerin WEISSER RING

Die zentralen Ergebnisse untermauern einige aktuelle Forderungen des WEISSEN RINGS.

  1. Opfer von Straftaten haben zu wenig Zugang zu verständlichen Informationen über Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten. Deshalb wird ein Großteil der Opferrechte kaum in Anspruch genommen.
  2. Die Weitervermittlung von Opfern an Unterstützungs-Einrichtungen durch die Polizei funktioniert nur nach Betretungsverboten bei Einsätzen der Polizei bei Gewalt in der Familie zufriedenstellend. In einem Großteil der anderen Deliktsbereiche funktioniert die Weitervermittlung nur in erfreulichen Ausnahmefällen und hängt vom Engagement einzelner Beamt*innen ab.
  3. Es gibt große Schwierigkeiten, rasch gut qualifizierte Dolmetscher*innen zu finden, insbesondere für kleine Sprachgemeinschaften.
  4. Es gibt in Österreich noch keine Grundlage für die individuelle Feststellung der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ von Opfern von Straftaten.
  5. Die finanzielle Ausstattung der Opferhilfe-Einrichtungen ist oft dürftig und lässt eine längerfristige Planung kaum zu.

Hilfe für Opfer von Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche

Auch 2019 griffen die unterschiedlichsten Partner*innen auf die Expertise des WEISSEN RINGS zurück. Die Bandbreite reicht von Informationsveranstaltungen über Podiumsdiskussionen, gemeinsame Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen, Entwicklung von Informationsmaterial, vergleichende Forschung auf europäischer Ebene bis hin zur Bereitstellung von Ressourcen im Rahmen von Projekten.

Mit dem Abschlussbericht „Hilfe für Opfer von Gewalt in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt“ brachte das Team rund um Geschäftsführerin Natascha Smertnig im Herbst das umfangreichste Projekt, das der WEISSE RING in diesem Zusammenhang betreut hatte, zu einem erfolgreichen Abschluss. „Der respektvolle Umgang mit den Erzählungen der Betroffenen und mit den Menschen, die sie an uns herantragen, ist uns ein großes Anliegen“, beschreibt Natascha Smertnig die Arbeit an den insgesamt fünf derartigen Projekten, mit deren Betreuung der WEISSE RING seit 2010 beauftragt worden war. Aktuell sind beim WEISSEN RING noch Meldungen von Betroffenen von Gewalt in Einrichtungen der Evangelischen Kirche A. und H.B. / Diakonie möglich.

Der respektvolle Umgang mit den Erzählungen der Betroffenen und mit den Menschen, die sie an uns herantragen, ist uns ein großes Anliegen.

Natascha Smertnig, Geschäftsführerin WEISSER RING

Bei der Abwicklung von finanziellen Entschädigungsleistungen an Personen, die ehemals im Otto Wagner Spital – Pavillon 15 untergebracht waren, musste der WEISSE RING zum Teil ganz neue Wege beschreiten. „Vielen Betroffenen war es nicht möglich, das Erlebte verbal wiederzugeben. Deshalb hat das Gremium vorgeschlagen, die zum Teil sehr umfangreichen Krankenakten heranzuziehen und diese zu analysieren. Diese Aufgabe haben mit Hemma Mayrhofer und Gudrun Wolfgruber zwei ausgewiesene Expertinnen übernommen“, schildert Udo Jesionek, Vorsitzender des Unabhängigen Gremiums, das die Entscheidungen über die Höhe der Entschädigung darauf aufbauend anhand vorab definierter Kriterien bzw. Kriterienbündel traf. Im Zentrum standen Themen wie das Alter bei Einweisung, die Dauer des Aufenthalts, dokumentierte Freiheitsbeschränkungen, fehlende Fördermaßnahmen, Pflegeschäden, Hospitalismus-Symptome oder Gewalt, aber auch der Einsatz als kostenlose Arbeitskraft.

Der WEISSE RING auf YouTube und Facebook

Wer seine Rechte nicht kennt, der kann sie auch nicht nutzen. Unter dem Titel movieHelp bieten seit Oktober vier kurze, gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt erstellte Erklärvideos Information zu Auswirkungen von Straftaten sowie zu Opferrechten und Unterstützungsangeboten. Darüber hinaus finden sich im YouTube-Kanal des WEISSEN RINGS regelmäßig aktuelle Informationen. „Junge Menschen halten Google schon für altmodisch. Recherchiert wird auf YouTube“, ist sich Geschäftsführerin Dina Nachbaur sicher.

Auch die Facebook-Seite des WEISSEN RINGS hat sich gemausert und kann mittlerweile auf eine aktive Fangemeinde von über 1500 Abonnent*innen verweisen.

Cyberverbrechen verletzen real: Tag der Kriminalitätsopfer

Unter diesem Titel luden WEISSER RING und Bundesministerium für Inneres bereits zum neunten Mal anlässlich des Europäischen Tags der Kriminalitätsopfer gemeinsam zu einem Symposium ein. Mit über zehntausend Anzeigen jährlich wird Cybercrime immer mehr zu einem zentralen Thema der Strafverfolgung. Die Fachinputs reichten von Forschungsergebnissen zur Charakterisierung von Täter*innen und Delikten über das Verhalten Betroffener bis zu einem Ausflug ins Darknet, boten Überlegungen zur erfolgreichen Prävention und ein Konzept mit kreativen Trainingsmethoden für die Weiterbildung von Berater*innen.

In der Auseinandersetzung mit der Materie entstanden folgende sieben Forderungen:

  1. laufende Fortbildung für die Berater*innen in Opferhilfe-Einrichtungen für kompetente Beratung Betroffener
  2. Ausbildung und Fortbildung sowie eine personelle Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden, die dem Ausmaß der neuen Herausforderung entspricht
  3. Erhöhung der Sicherheit von User*innen durch präventive Beratung und Information. Zielgruppe dafür müssen Personen jeden Alters sein.
  4. Es muss erkennbar und fühlbar sein, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Zu überlegen sind „Online-Streifen“ der Polizei und Projekte, welche die digitale Zivilcourage fördern.
  5. Erleichtern der Anzeigenerstattung. Diese sollte auch online möglich sein.
  6. Ausbau und Unterstützung von Initiativen von NGOs mt dem Ziel, Meldungen von Cybercrime und Gewalt im Netz zu fördern
  7. Opfer von Cybercrime brauchen Beratung und Unterstützung. Opfer aller Straftaten sollen entsprechend ihren Bedürfnissen unterstützt werden.

Der WEISSE RING

Der WEISSE RING ist Österreichs einzige im Gesetz verankerte allgemeine Opferunterstützungs-Einrichtung und steht allen Opfern krimineller Handlungen jeglicher Form offen. Rasch, unbürokratisch und kostenlos werden geboten:

  • professionelle Beratung und Betreuung
  • psychosoziale und juristische Prozessbegleitung
  • finanzielle Hilfe im Notfall

Rund 1.770 Klient*innen wurden im Jahr 2019 intensiv betreut. Die Website www.weisser-ring.at verzeichnete rund 36.950 Besucher*innen.

Darüber hinaus ist der WEISSE RING Anlaufstelle und Drehscheibe für Informationen über die Angebote anderer Opferhilfe-Einrichtungen.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz betreibt der WEISSE RING den kostenlosen Opfer-Notruf 0800 112 112. Dieser steht24 Stunden täglich an 365 Tagen im Jahr als erste, zentrale Anlaufstelle für alle Opfer krimineller Handlungen zur Verfügung. Im Jahr 2019 gingen rund 13.000 Anrufe beim Opfer-Notruf 0800 112 112 ein, die Website www.opfer-notruf.at wurde ungefähr 50.950 besucht.

Die Finanzierung des WEISSEN RINGS ruht auf drei Säulen:

  • Mitgliedsbeiträge und Spenden privater Personen
  • Spenden von Unternehmen und Organisationen
  • Finanzierung von Projekten und gesetzlichen Leistungen durch die öffentliche Hand

Um Opferhilfe in ihrer Gesamtheit anbieten zu können, braucht der WEISSE RING auch und vor allem die Unterstützung durch Spender*innen. Mit der Auszeichnung durch das Spendengütesiegel wurde dem WEISSEN RING nach Prüfung durch einen unabhängigen, externen Prüfer der transparente, widmungsgemäße und wirtschaftliche Umgang mit Spendengeldern sowie eine vorbildliche Spendenverwaltung bescheinigt. Seit 30.11.2009 ist der WEISSE RING in die Liste des begünstigten Empfängerkreises des Bundesministeriums für Finanzen aufgenommen. Spenden an den WEISSEN RING sind somit steuerlich absetzbar.

Erstellt am 7.5.2020

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