Im Rahmen des Runden Tischs Opferschutz am 12. Mai 2021 kam auch der WEISSE RING als gesetzlich anerkannte, allgemeine Opferschutz-Einrichtung – vertreten durch Geschäftsführerin Natascha Smertnig – zu Wort. Hier finden Sie unsere Stellungnahme zur aktuellen Diskussion.
Zeitgemäßes Rollenbild für Männer und Frauen
Wenn wir über die besorgniserregend hohe Anzahl an Femiziden in Österreich sprechen, müssen wir auch die Frage nach den in der Gesellschaft vorherrschenden Rollenbildern stellen. Die Suche nach den Ursachen und auch nach den Möglichkeiten zur Verbesserung der Gesamtsituation ist eine gesellschaftspolitische Frage, die über die konkreten Aufgabenstellungen von Opferhilfe und Opferschutz hinausgeht. Es geht um die Frage nach einem zeitgemäßen Rollenbild sowohl für Männer als auch für Frauen, das bereits in der Kindheit und Jugend geprägt werden sollte.
Die Diskussion fokussiert derzeit aufgrund der aktuellen Ereignisse auf Frauen, die Beziehungstaten zum Opfer fallen. Zusätzlich sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass Frauen auch außerhalb privater Beziehungen Gewalt erleben und getötet werden und auch hier Schutz und Unterstützung gebraucht wird.
Der WEISSE RING stellt ganz generell Opfer von Straftaten mit ihren Bedürfnissen und Interessen ins Zentrum seiner Arbeit – ohne Berücksichtigung von Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft oder Alter. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Betroffene zu begleiten und zu unterstützen. Wir informieren über Opferrechte und wir setzen uns sowohl für deren Einhaltung als auch für deren Weiterentwicklung ein.
Aus diesem zentralen Arbeitsauftrag heraus stellen wir folgende Forderungen zur Diskussion.
Wir fordern Ausbau und bessere Finanzierung von Opferhilfe-Einrichtungen.
Das gilt aus unserer Sicht nicht nur für jene Einrichtungen die sich um Frauen als Opfer von Gewalt kümmern, sondern auch um jene, die sich an Männer richten.
Bei der Stärkung der Männerberatung geht es vor allem darum, den Schutz für Frauen zu verbessern, die von Gewalt betroffen sind, und die Gewaltprävention zu stärken. Die Hilfsangebote sowohl für Männer, die aus eigenem Antrieb um Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aggressionen bitten als auch für Männer, die dazu verpflichtet werden, sollten ausgebaut und niederschwellig verfügbar gemacht werden.
Daneben darf auch nicht übersehen werden, dass auch Männer zu Opfern häuslicher Gewalt werden und in dieser Situation Unterstützung brauchen.
Wir fordern die Verbesserung der Kommunikation zwischen Exekutive und Opferschutz-Einrichtungen.
Wir unterstützen die Forderung nach regelmäßiger Durchführung von Fallkonferenzen zur interdisziplinären Beratung und Einschätzung bekannter Gefährder.
Wir fordern die gleiche Behandlung für Opfer situativer Gewalt wie sie Opfer von häuslicher Gewalt erhalten (vollständige Umsetzung von Artikel 8 der EU-Opferschutz-Richtlinie).
Darüber hinaus halten wir es für unumgänglich, auch den Informationsaustausch für Fälle situativer Gewalt zu verbessern. Denn es kann nicht sein, dass eine Frau, die beispielsweise auf der Straße oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zum Opfer wird, anders behandelt wird als eine Frau, die im häuslichen Umfeld getötet wird. Das ist allerdings derzeit der Fall (vgl die Zahlen des Sicherheitsberichts 2019 lt dem 30,9 % aller Opfer von Morden und Mordversuchen in Österreich in einer familiären Beziehung zum Täter stehen während 35,2 % keine Beziehung zum Täter hatten).
Die Polizei leitet gemäß § 56 Abs. 1 Z 3 SPG in allen Fällen, in denen Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden, die Daten an die zuständigen Interventionsstellen bzw. Gewaltschutzzentren weiter. Eine analoge Bestimmung für Opfer situativer Gewalt fehlt trotz des ausdrücklichen Auftrags von Artikel 8 der EU-Opferschutz-Richtlinie nach wie vor. Dadurch erfahren viele Betroffene zu spät oder gar nicht von ihren Rechten.
Die langjährige Praxis in der Arbeit des WEISSEN RINGS zeigt, dass viele dieser Frauen erst sehr spät davon Kenntnis erlangen, dass sie insbesondere nach dem VOG aber auch nach zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Normen Anspruch auf Hilfsleistungen haben, und diese Ansprüche nicht geltend machen und verlieren. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für Frauen als Opfer situativer Gewalt und war gerade zuletzt im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Wien sehr aktuell.
Wir fordern den Ausbau der Einrichtungen zur Beweissicherung
Zeitgerechte, schonend und professionell durchgeführte Sicherung von Beweisen kommt insbesondere bei Gewalt in der Familie große Bedeutung zu. Denn gerade hier gibt es sehr oft keine Zeug*innen und es steht daher Aussage gegen Aussage.
Lesen Sie mehr zu den Forderungen des WEISSEN RINGS!