Seit langen Jahren kämpft der WEISSE RING für die rechtliche Gleichstellung aller Verbrechensopfer. Ehrenpräsident Udo Jesionek hatte diese Errungenschaft sogar als so wichtig eingestuft, dass er meinte, nach ihrer Erreichung könne er beruhigt in Pension gehen.
Aber worum geht es konkret? Schon seit vielen Jahren leitet die Polizei die Daten von Menschen, die Opfer von Gewalt im privaten Nahbereich werden, automatisch an das zuständige Gewaltschutzzentrum weiter. So können diese Einrichtungen Opfer proaktiv kontaktieren und Hilfe anbieten. Das ist gut so und sehr wichtig für den Zugang zu Hilfe und Recht.
Zugang zum Recht für Opfer situativer Gewalt schlechter
Die Situation war bisher aber eine andere, wenn jemand Opfer situativer Gewalt wurde – also beispielsweise auf dem Heimweg oder im Rahmen der beruflichen Tätigkeit am Arbeitsplatz überfallen und verletzt wurde. In diesen Fällen sind die Daten bisher nicht an Opferhilfe-Einrichtungen gegangen. Die Erfahrung zeigt, dass Betroffene nach dem Schock einer Gewalttat häufig nicht sofort in der Lage sind, sich Hilfe zu holen. Oft fehlt auch die Information, dass sie nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) und der Strafprozessordnung umfangreiche Rechte haben, z.B. auf psychologische Unterstützung oder Prozessbegleitung. Somit hatten nicht alle Verbrechensopfer den gleichen Zugang zu Hilfe und Information.
Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024
Mit 1. Jänner 2025 ist nun eine wichtige Änderung der Strafprozessordnung (StPO) in Kraft getreten. Nach § 66 Abs 1 Z 1c StPO haben Opfer nunmehr das Recht, die Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten an eine in § 66b Abs 3 StPO angeführte Einrichtung nach Wahl des Opfers zu verlangen, soweit dies zum Zweck einer Kontaktaufnahme und Beratung über mögliche Ansprüche nach § 66b Abs 1 StPO, also über eine mögliche psychosoziale bzw. juristische Prozessbegleitung, erforderlich ist.
Opfer muss aktiv nach Hilfe verlangen
Der WEISSE RING betrachtet diese Gesetzesänderung als wichtigen, aber noch nicht ausreichenden Schritt. Die Formulierung des Gesetzes lässt Spielraum, der sich zum Nachteil von Verbrechensopfern auswirken könnte. Sie zielt auf Personen ab, die Anspruch auf Prozessbegleitung haben – also typischerweise besonders belastete Opfergruppen. Häufig sind gerade diese Personen aufgrund der potentiell traumatisierenden Erfahrung entweder gar nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage, Informationen aufzunehmen. Darüber hinaus ist es schwierig, etwas zu verlangen, von dem man zum ersten Mal hört.
Xenia Zauner, Sprecherin Präsidium WEISSER RING, meint dazu: „Die gegenwärtige Fassung des Textes würde von Personen im Schockzustand erfordern, aktiv nach Unterstützung zu fragen. Unmittelbar nach einem Verbrechen haben sie aber womöglich selbst noch nicht realisiert, dass sie diese brauchen würden.“ Streng genommen müssten die Opfer in dieser schwierigen Situation eine zweite Entscheidung treffen: An welche Stelle sollen ihre Daten übermittelt werden? Aufgrund der zahlreichen Prozessbegleitungseinrichtungen ist dies aber eine sehr schwierige Wahl, die im Zweifelsfall wohl oft nicht getroffen werden kann. Somit ist zu befürchten, dass Opfer situativer Gewalt und Hinterbliebene wiederum schwerer zu ihrem Recht kommen. Insbesondere ist zum Zeitpunkt der Vernehmung meistens zudem unklar, ob es zu einer Prozessbegleitung kommen wird – etwa wenn der/die Täter unbekannt , flüchtig oder verstorben sind – bzw. wie wird das Opfer unterstützt sollte das Verfahren eingestellt werden.
Deshalb hängt nun sehr viel daran, wie die Umsetzungsverordnung zum Gesetz gestaltet wird.
Forderung des WEISSEN RINGS bleibt aufrecht
Der WEISSE RING fordert nach wie vor, die Polizei zu ermächtigen, personenbezogene Daten von Opfern an die geeignete Einrichtung zu übermitteln. Im Zweifel sollte das die Opferhilfe-Einrichtung sein, die in der allgemeinen Opferhilfe führend ist. Dies soll immer dann gültig sein, wenn das Opfer einer Übermittlung nicht widerspricht. Damit könnten Opfer situativer Gewalt und Hinterbliebene jedenfalls Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten haben.
Die vorliegende gesetzliche Regelung ist ein erster Schritt in die Richtung hin zu einer Gleichbehandlung aller Opfer. Im nächsten Schritt geht es darum, aktiv an der Umsetzung mitzuarbeiten.
Für die Zukunft steht fest: Der WEISSE RING wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass alle Opfer den gleichen Zugang zum Recht erhalten. Dafür ist eine Datenweitergabe in der gleichen Qualität und Umsetzung wie sie für Opfer von Gewalt im privaten Nahbereich erfolgt, auch für Opfer situativer Gewalt notwendig.
Zum Weiterlesen
Mehr zu den Vorschlägen des WEISSEN RINGS zum Thema Datenweitergabe lesen Sie in der Stellungnahme zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024. Hier finden Sie das Dokument zum Herunterladen:
01 / 2025