VOCIARE – die zentralen Ergebnisse

Implementierung und Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU in den Mitgliedstaaten

„Manchmal hat man das bestimmte Gefühl, dass das eine oder andere Opfer-Recht noch nicht so gut umgesetzt ist“, meint Tobias Körtner, fachlicher Leiter der Opferhilfe Österreich. „Aber im Alltag der Opferhilfe kann man sich nicht sicher sein.“ In solchen Situationen hilft der Austausch mit anderen Expert*innen in ganz Österreich. Und besonders leicht geht das, wenn das Projekt koordiniert und finanziert wird.

Im Jahr 2017 beteiligte sich der WEISSE RING am EU-Projekt VOCIARE (Victims of Crime Implementation Analysis Report), mit dem Ziel, doch einmal genau nachzufragen und nachzuschauen, wie die EU-Opferschutz-Richtlinie in Österreich umgesetzt und gelebt wird. Darüber hinaus beteiligen sich weitere 21 Organisationen aus 19 Ländern.

Methoden

Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erreichen, wurden die Forschungsmethoden zwischen den Partner*innen-Organisationen abgestimmt und einheitlich in den jeweiligen Mitgliedstaaten umgesetzt. Der Beginn der Erhebung war eine umfangreiche Recherche zu Fachliteratur zur Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie. Darüber hinaus wurden anhand von standardisierten Fragebögen qualitative Expert*innen-Interviews geführt. Anders als bei klassischen „Schattenberichten“, die ausschließlich von NGOs verfasst werden, kommen im Länderbericht im Rahmen dieses Projekts auch Angehörige von Justiz und Exekutive zu Wort. Besonders geachtet wurde dabei auch auf eine Verteilung zwischen Akteur*innen aus ländlichen Gegenden und solchen in eher städtischen Bereichen. In Summe führte Dina Nachbaur zwölf qualitative Interviews mit Vertreter*innen der Exekutive, der Justiz, von Opferhilfe-Einrichtungen, Kinderschutz-Zentren und einem Kollegen von NeuStart. Auch an dieser Stelle bedankt sich der WEISSE RING bei den Expert*innen für die Bereitschaft, Wissen und Erfahrungen einzubringen! Die Ergebnisse werden ergänzt durch eine quantitative Online-Befragung von insgesamt 76 Personen (38 aus dem Bereich der Strafverfolgung, 12 Rechtsanwält*innen und 26 Personen, die im Bereich des Opferschutzes und der Opferhilfe arbeiten).

Der Bericht

Jeder einzelne Länderbericht wurde entlang der 26 Artikel der EU-Opferschutz-Richtlinie verfasst und kann auf der Website von Victim Support Europe nachgelesen werden.

Die einzelnen nationalen Berichte wurden schließlich von einem Kernteam zu einem Europabericht zusammengefasst und ebenfalls veröffentlicht.

Österreich im Zusammenspiel der EU-Mitgliedstaaten

Für Österreich wurden im gemeinsamen Bericht einzelne Bemühungen hervorgehoben, Opfer mit besonderen Bedürfnissen zu erreichen. Genannt wird dabei etwa das Informationsblatt, das der WEISSE RING gemeinsam mit dem Verein capito“ entwickelt hat. Es geht dabei um erste Informationen zu Opfer-Rechten in „Leichter Lesen“. Damit sollen auch Menschen, die nicht gerne oder nicht gut lesen, erreicht werden. Auch das Video auf der Website www.schreigegengewalt.at als Information für gehörlose Frauen zum Schutz vor Gewalt wird als vorbildliches Beispiel genannt. Die Polizei wird gelobt für ihr Bemühen, auch mit demenzkranken Menschen angemessen zu kommunizieren sowie für die speziellen Angebote für minderjährige Betroffene.

Der Bericht zeigt, dass einzelne Rechte der EU-Opferschutz-Richtlinie in ganz Europa nur unzureichend umgesetzt werden. Etwa das Recht des Opfers, sich zu einer Einvernahme von einer Vertrauensperson begleiten zu lassen, findet in der Praxis fast keine Umsetzung.

Nur in 10 % der Fälle gaben die befragten Expert*innen an, dass Opfer oft bzw. immer in Begleitung kommen. Die überwiegende Mehrheit kommt unbegleitet.

„Aus der Opferhilfe des WEISSEN RINGS wissen wir ganz genau, dass Opfer nicht gerne alleine zu Polizei und Gericht gehen“, erklärt Dina Nachbaur. „Die meisten wünschen sich eine Begleitung und fühlen sich durch eine solche bedeutend wohler und sicherer.“ Dennoch haben auch die Befragungen der Expert*innen in Östereich gezeigt, dass Opfer von den Strafverfolgungsbehörden nicht darin bestärkt werden, sich begleiten zu lassen. Es werden eher Argumente vorgebracht, warum das doch keine so gute Idee sei („Dann müssen wir aber noch lange warten, bis die Vertrauensperson da ist. Des schaffen wir auch so, oder?! Ich beiß‘ ja nicht“).

Auch von anderen EU-Mitgliedstaaten lässt sich einiges lernen: Unsere Nachbar*innen in Ungarn haben ein einfaches Formular entwickelt und in das Datenverarbeitungssystem der Polizei eingearbeitet, mit dem sich Hinweise auf eine „besondere Schützbedürftigkeit“ aufzeigen und dokumentieren lassen. Basis dafür ist ein weiteres EU-Projekt namens EVVI

Die Ergebnisse für Österreich sind auch ein „Call to Action“:

  • Opfer von Straftaten haben nach wie vor zu wenig Zugang zu verständlichen Informationen über ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten. Deshalb wird ein Großteil der Opfer-Rechte kaum in Anspruch genommen.
  • Die Weitervermittlung von Opfern an Unterstützungs-Einrichtungen durch die Polizei funktioniert nur nach Betretungsverboten bei Einsätzen der Polizei bei Gewalt in der Familie zufriedenstellend. In einem Großteil der anderen Deliktsbereiche funktioniert die Weitervermittlung nur in erfreulichen Ausnahmefällen und hängt vom Engagement einzelner Beamt*innen ab.
  • Es gibt große Schwierigkeiten, rasch gut qualifizierte Dolmetscher*innen zu finden, insbesondere für kleine Sprachgemeinschaften.
  • Es gibt in Österreich noch keine Grundlage für die individuelle Feststellung der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ von Opfern von Straftaten.
  • Die finanzielle Ausstattung der Opferhilfe-Einrichtungen ist oft dürftig und lässt eine längerfristige Planung kaum zu.

Die Kampagne

In einer gemeinsamen Kampagne werden die Ergebnisse auf sozialen Medien präsentiert. Für Österreich „am Start“ sind dabei Autorin und Autor Dina Nachbaur und Tobias Körtner.

Weiterführende Information

Der VOCIARE Synthesis Report sowie die 26 Länderberichte stehen im Internet in englischer Sprache zur Verfügung. Hier finden Sie den Länderbericht Österreich in englischer Sprache. Hier geht es direkt zum Synthesis Report.

erstellt am 31.1.2020

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