Birgitt Haller und Helga Amesberger untersuchen im neunten Band der Schriftenreihe Viktimologie und Opferrechte, welche Unterstützung Frauen benötigen, die Partnergewalt zur Anzeige bringen und welche Erfahrungen sie mit Polizei und Justiz machen.
Die Studie entstand vor dem Hintergrund des Inkrafttretens der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29. Im September 2019 wurde sie auf Einladung von Bundesministerin Ines Stilling gemeinsam mit Lyane Sautner, Strafrechtsexpertin und Vizepräsidentin WEISSER RING, im Rahmen einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt einem interessierten Fachpublikum vorgestellt.
Das Buch
Birgitt Haller / Helga Amesberger
Opfer von Partnergewalt in Kontakt mit Polizei und Justiz
Viktimologie und Opferrechte (VOR), Schriftenreihe der WEISSER RING Forschungsgesellschaft, Band 9
StudienVerlag, 2019
ISBN 978-3-7065-5601-9
Die Erhebung
Die verwendeten Daten wurden mit folgenden Methoden erhoben:
- Desk Research: Es wurden alle Akten der Staatsanwaltschaft Wien zum Thema Partnergewalt aus dem Zeitraum 1. bis 28. Jänner 2014 ausgewertet.
- Befragung Betroffener: Opfer von Partnergewalt wurden zu ihren Erwartungen und Erfahrungen beim Erstatten der Anzeige, während des Ermittlungsverfahrens und im Gerichtsverfahren interviewt.
- Expert*innen-Befragung: Außerdem wurden Expertinnen befragt und deren Aussagen thematisch zu den beiden ersten Bausteinen zugeordnet.
Die Studie liefert eine Fülle an Zahlen, Daten und Eindrücken, aus denen die Autorinnen Entwicklungsmöglichkeiten und Schlussfolgerungen ableiten. Im Anhang wird eine „Checkliste GEWALT“ für Staatsanwaltschaft und Justiz zur Verfügung gestellt.
Einige Ergebnisse der Studie
Bei Partnergewalt kommt es nur selten zu einer Hauptverhandlung.
Die Verfahren werden mehrheitlich – in der vorliegenden Studie in 77 % der Fälle – von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Jede zweite Einstellung wird mit einem Mangel an Beweisen begründet.
9 von 10 betroffenen Frauen sagten gegen den Täter aus.
Es stimmt also nicht, dass die hohe Anzahl der Einstellungen auf mangelnde Kooperation der betroffenen Frauen zurückzuführen ist, wie immer wieder behauptet wird. Nur ein sehr geringer Teil der Strafanzeigen führt tatsächlich zu einer Verurteilung (8,5 % bzw. jede zwölfte Anzeige).
Prozessbegleitung wir nur von jeder 11. betroffenen Frau in Anspruch genommen.
Nur bei knapp 9 % der Opferzeuginnen – also Frauen, die aussagten – war Prozessbegleitung im Akt vermerkt, obwohl davon auszugehen ist, dass alle Anspruch darauf gehabt hätten.
Alkohol, Drogen und Arbeitslosigkeit erhöhen das Gewaltrisiko.
So standen 31 % jener Verdächtigen, zu denen diesbezügliche Informationen vorlagen, unter Alkohol- oder Drogeneinfluss.
Frauen haben vor der Anzeige meist sehr lange in der Gewaltbeziehung gelebt.
Häufig wird der Partner erst dann angezeigt, wenn körperliche Gewalt zu anderen Gewaltformen dazu kommt und / oder Kinder gefährdet sind.
Nicht immer sind in den Akten genug Informationen verfügbar.
Detaillierte Informationen über die Beziehung zwischen Verdächtigem und Opfer fehlen sehr oft gänzlich oder sind nur unvollständig. Mangelhafte Information über vorherige Gewaltvorfälle und allfällige Obsorgeverfahren oder -entscheidungen erschwert die Einschätzung der Gefährdungssituation durch Polizei und Justiz ebenso wie eine präzise zeitliche Verortung einzelner polizeilicher Tätigkeiten sowie Angaben darüber, ob das Opfer von einer Gewaltschutzeinrichtung oder von anderen Gesundheitseinrichtungen betreut wird. Auch Maßnahmen wie einstweilige Verfügungen sind nicht immer aus den Akten ersichtlich.
Haben Opfer immer die Möglichkeit zu verstehen und verstanden zu werden?
In den Akten finden sich nur selten Informationen dazu, wie gut Opfer und Täter die deutsche Sprache beherrschen. Dokumentiert wird die Beiziehung von Dolmetscher*innen. Allerdings hat sich gezeigt, dass auch Betroffene mit alltagstauglichen Deutschkenntnissen in der konkreten Befragungssituation sprachlich überfordert sein können.
Kontakt mit Polizei wird mehrheitlich positiv erlebt.
Der Kontakt mit der Polizei – insbesondere mit spezialisierten Beamt*innen – wird mehrheitlich als positiv beschrieben. Das Verhalten der Polizist*innen wird zumeist als einfühlsam, unterstützend und höflich beschrieben. Als schwierig wurde erlebt, wenn beim Aufnehmen der Anzeige der Eindruck entstand, dass die Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werde.
Kritik an Staatsanwaltschaft und Richter*innen.
Aus den Interviews geht hervor, dass es sowohl während des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft als auch während des Gerichtsverfahrens immer wieder zu Situationen kommt, in denen die Befragten den Eindruck hatten, dass sie nicht ausreichend gehört und vorhandene Informationen und Beweise nicht entsprechend gewürdigt wurden.
Wer Prozessbegleitung in Anspruch genommen hatte empfiehlt diese weiter.
Obwohl Prozessbegleitung keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung hat, empfahlen alle Befragten, sich einem Gerichtsverfahren nur mit psychosozialer und rechtlicher Unterstützung auszusetzen. Bei Gewalt in der Familie kann diese Unterstützung aktiv angeboten werden, weil die Daten der Betroffenen – nach Verhängen eines Betretungsverbots – automatisch an die zuständigen Einrichtungen weitergegeben werden. Das ist offensichtlich von Vorteil. Denn viele der Befragten betonten, dass sie nicht die Kraft gehabt hätten, selbst Hilfe zu suchen, obwohl sie bei der Einvernahme durch die Polizei entsprechende Informationen zu Opferschutz-Einrichtungen erhalten hatten.
Fotos von der Präsentation
Das Buch wurde am 19. September 2019 in den Räumlichkeiten des Bundeskanzleramts präsentiert.
die Personen auf den Fotos:
- BM Ines Stilling und Strafrechtsexpertin Lyane Sautner
- BM Ines Stilling
- BM Ines Stilling
- Udo Jesionek, Präsident WEISSER RING
- Autorin Birgitt Haller präsentierte die wesentlichen Inhalte des Buchs
- Die beiden Autorinnen Helga Amesberger und Birgitt Haller in Diskussion mit der Strafrechtsexpertin Lyane Sautner
Fotos: Hans Hofer/BKA und Orhan Maglajlic.
Erstellt am 11.11.2019