17. Mai 2023 / Der aktuelle Jahresbericht des WEISSEN RINGS zeigt, wie vielfältig das Betätigungsfeld der einzigen allgemeinen Opferhilfe-Einrichtung Österreichs ist.
Der WEISSE RING steht für Recht im Unrecht! Dieser zentrale Satz gilt seit der Gründung im Jahr 1978 unverändert. Nach wie vor springt der WEISSE RING dort ein, wo staatliche Hilfe fehlt oder zu spät kommt. Er bietet eine Anlaufstelle für alle Opfer von Kriminalität – unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, religiöser, politischer oder sexueller Orientierung.
Delikte gegen Leib und Leben im Vordergrund
Im Jahr 2022 waren es 1.824 Klient:innen, die der WEISSE RING begleitete. Jede:r Zweite davon war Opfer eines Delikts gegen Leib und Leben – davon ging es in jedem vierten Fall um schwere Körperverletzung, in jedem elften um ein Tötungsdelikt. Der WEISSE RING begleitet aber auch Opfer von Raub, Diebstahl, Betrug und Einbruch. Im Jahr 2022 war das jede:r Fünfte, der / die sich an den WEISSEN RING wandte. Die Taten finden an so unterschiedlichen Orten wie in den eigenen vier Wänden (Einbruch), im Internet (Hass im Netz) oder in einer Haftanstalt statt. Für 67 der betreuten Klient:innen war der Arbeitsplatz zum Tatort geworden.
Gewalt darf nicht in Mode kommen!
Dem Tatort Arbeitsplatz widmete der WEISSE RING einen Schwerpunkt in der Kommunikationsarbeit. Unter dem Titel „Gewalt darf nicht in Mode kommen!“ entstanden ausdrucksstarke Fotos, eine Straßenaktion und eine Social Media-Kampagne. „Wir stellen alljährlich ein aktuelles Thema in den Mittelpunkt unserer Kommunikationsarbeit,“ erläutert Natascha Smertnig, Geschäftsführerin WEISSER RING. „Die steigende Zahl an Übergriffen – sowohl verbal als auch körperlich – vor allem auf im Gesundheits- oder Dienstleistungsbereich und in Verkehrsbetrieben Beschäftigte, macht uns sehr betroffen.“ Die Agentur BROKKOLI, Modefotograf Oliver Gast, Filmproduktion Seven, Visagist:innen von Making of, die Gewerkschaft vida, die Modekette C&A und die Werbeproduktionsfirma weitsprung – sie alle arbeiteten pro bono an der Kampagne.
„Wir stellen alljährlich ein aktuelles Thema in den Mittelpunkt unserer Kommunikationsarbeit. Die steigende Zahl an Übergriffen – sowohl verbal als auch körperlich – vor allem auf im Gesundheits- oder Dienstleistungsbereich und in Verkehrsbetrieben Beschäftigte, macht uns sehr betroffen.“
Natascha Smertnig, Geschäftsführerin WEISSER RING
50 Jahre Verbrechensopfergesetz
Ein Element der Arbeit in der Opferhilfe ist die Beratung nach dem Verbrechensopfergesetz, in dem Rechte wie das auf Schadenersatz, auf Übernahme der Kosten von Psychotherapie oder der Ersatz beschädigter Brillen, Hörbehelfe oder von Zahnersatz festgelegt sind. Der parlamentarische Beschluss über die Erstfassung dieses Gesetzes jährte sich 2022 zum 50. Mal. Dieses Jubiläum nahm der WEISSE RING nicht nur zum Anlass für einen Rückblick und eine Bewertung des aktuellen Stands der Opferrechte sondern formulierte auch Forderungen für deren zeitgemäße Weiterentwicklung. „Österreich verfügt über ein gut ausgebautes System an Opferrechten,“ bestätigt Udo Jesionek, Präsident WEISSER RING. „Dennoch werden in der täglichen Arbeit immer wieder Lücken sichtbar. Das betrifft sowohl die Definition der Opfergruppen, die Anspruch auf Unterstützung haben, als auch den Umfang der Leistungen oder verfahrensrechtliche Maßnahmen.“ Ein besonderes Anliegen ist es, allen Opfern denselben Zugang zu Hilfe zu ermöglichen. Das sollte völlig unabhängig davon sein, ob es sich um Gewalt im persönlichen Nahbereich handelt oder um situative Gewalt – also Gewalt zwischen Menschen, die keine persönliche Beziehung verbindet. Deshalb fordert der WEISSE RING die vollständige Umsetzung der EU-Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU, insbesondere von Artikel 8.
„Österreich verfügt über ein gut ausgebautes System an Opferrechten. Dennoch werden in der täglichen Arbeit immer wieder Lücken sichtbar. Das betrifft sowohl die Definition der Opfergruppen, die Anspruch auf Unterstützung haben, als auch den Umfang der Leistungen oder verfahrensrechtliche Maßnahmen.“
Udo Jesionek, Präsident WEISSER RING
Terror: Eine besondere Art der situativen Gewalt
Der Jahresbericht gibt außerdem Auskunft über die erfolgreiche Umsetzung des im September 2021 durch das Sozialministerium ins Leben gerufenen Terroropfer-Fonds. Bis Ende 2022 hatten sich 89 Personen für diesen qualifiziert, insgesamt waren bereits 2,2 Mio Euro abgerufen worden. Um möglichst alle Betroffenen gut betreuen zu können, wurde das Projekt Ende 2022 um sechs Monate verlängert und der zur Verfügung gestellte Betrag wurde auf 3,3 Mio Euro erhöht.
Das Thema Terror stand im Jahr 2022 im Zentrum des Symposiums, das WEISSER RING und Innenministerium anlässlich des Tags der Kriminalitätsopfer (22. Februar) zum bereits zwölften Mal gemeinsam veranstalteten. Es ging dabei um diese besondere Form der Gewalt und ihre Folgen. Antony Pemberton, Leuven Institue of Criminology, warnte mit drastischen Worten vor den weitreichenden Folgen. Das Erleben schwerer Gewalt führe zu einem Bruch in der Biographie der Opfer und könne in letzter Konsequenz ein Gefühl radikaler Einsamkeit und den Verlust des Kontakts zum sozialen Umfeld bewirken. Deshalb sei es wichtig, den Opfern dabei zu helfen, dem Erlebten Sinn zu geben und den Austausch mit ihrem sozialen Umfeld wieder herzustellen. Damit bestätigte er eine der Grundlagen der Arbeit des WEISSEN RINGS, die auf die Nützung der eigenen Ressourcen und Empowerment ausgerichtet ist.
In ganz Österreich präsent
Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen, Fortbildungsmaßnahmen für die Mitarbeiter:innen, die Einführung des Videodolmetschens sowie der Besuch internationaler Gäste trugen ebenfalls zu einem abwechslungsreichen Jahr bei. Die Präsenz in ganz Österreich wurde weiter ausgebaut. So bezog der WEISSE RING im Mai ein Büro in Linz und ist nach 44 Jahren nunmehr auch in Oberösterreich mit einem eigenen Büro präsent.