Wie bewusstes und unbewusstes Aussageverhalten der Opfer gerichtliche Entscheidungen verzerren kann
Tag der Kriminalitätsopfer 2021 / Zugang zum Recht bedeutet auch und besonders Zugang zu einem objektiv geführten Verfahren. Univ.-Ass.in Dr.in Susanne Schmittat, Johannes Kepler Universität Linz, beleuchtet, inwiefern das Aussageverhalten von Opfern, das in der Realität des Strafverfahrens häufig eine zentrale Rolle spielt, zu Verzerrungen in der gerichtlichen Entscheidungsfindung und damit zu einer Einschränkung der Objektivität führen kann.
Einem rein objektiv geführten Verfahren stehen psychologische Prozesse manchmal einfach im Weg. Denn psychologische Mechanismen können die Informationswahrnehmung und Entscheidungsfindung unbewusst beeinflussen. Dies ist auch der Fall, wenn das Aussageverhalten von Opfern evaluiert wird.
Zum einen wird das nonverbale Verhalten genaustens beobachtet: Zeigt das Opfer Emotionen? Und wenn ja, welche Emotionen und wie stark sind die Emotionen ausgeprägt? Auch wenn es keine empirischen Ergebnisse gibt, welche die Verlässlichkeit von nonverbalen Merkmalen wie Emotionen unterstützen, beeinflussen diese die Glaubwürdigkeitseinschätzung des Opfers: Ob ein Opfer weint oder anderweitig emotional belastet wirkt, kann Opfer von sexuellem Missbrauch glaubwürdiger erscheinen lassen – jedoch nur, wenn die Beurteilenden dies auch von einem Opfer erwarten. Je stärker diese Erwartungshaltung ausgeprägt ist, desto stärker ist der Effekt von dargestellten Emotionen.
Auch auf verbaler Ebene wird einiges von den Opfern erwartet, zum Beispiel, dass sie durch die Nähe zum Geschehen besonders detailreich berichten können. Psychologische Forschung zeigt, dass unter Stress zentrale Details generell besser, aber nebensächliche Details schlechter enkodiert und somit erinnert werden.
Unabhängig davon, ob verbale oder nonverbale Verhaltensweisen der Opfer herangezogen werden, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu prüfen, kann der dadurch gewonnene Eindruck den weiteren Entscheidungsfindungsprozess beeinflussen. Durch bestätigende Informationsverarbeitung kann zum Beispiel ein anfänglicher Eindruck, der möglicherweise auf einer fehlerhaften Urteilsheuristik basiert (z.B. wenn emotionale Belastung als Indiz für Wahrheit genommen wird), zu einer subjektiv richtigen Entscheidung führen.
Eine Auseinandersetzung mit der Wirkung von psychologischen Mechanismen und möglichen Strategien, wie systematisch verzerrte Entscheidungen entzerrt werden können, wäre aus psychologischer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung, um Objektivität in der juristischen Entscheidungsfindung zu ermöglichen.
Univ.-Ass.in Dr.in Susanne Schmittat, Johannes Kepler Universität Linz, Foto Moritz Schmittat